Die Kaltenthaler und die verspätete Reformation in Aldingen
Friedlich vereint zeigt der Chor der Margaretenkirche in Aldingen an der gleichen Wand die Grabdenkmale der beiden Vettern Philipp Wolf und Reinhart von Kaltenthal. 1551 war Philipp von Herzog Christoph von Württemberg mit einem Drittel des Dorfes Aldingen belehnt worden; 1555 erhielten dann seine Vettern Heinrich und Reinhart die restlichen zwei Drittel als württembergisches Lehen.

Längst hätte Herzog Ulrich von Württemberg, der 1534 im Herzogtum Württemberg die Reformation eingeführt hatte, ein Recht gehabt, sich um die kirchlichen Verhältnisse auch im exterritorialen Aldingen zu kümmern, zwar nicht als Lehnsherr, sondern als Landesherr und damit Oberherr des inzwischen reformierten Stifts Stuttgart, das schon 1380 die Kirche, den Widdumhof und das Pfarrbesetzungsrecht in Aldingen von den Herren von Kaltenthal gekauft hatte. Nach wie vor waltete jedoch der katholische Pfarrer Leb in Aldingen bis zu seinem Tod 1554 seines Amtes. Inzwischen war 1550 Herzog Christoph zur Regierung gekommen. Aus Angst vor einem Eingreifen des Herzogs, wozu dieser rechtsmäßig befugt gewesen wäre, hatten die drei Herren von Kaltenthal widerrechtlich das dem Stift Stuttgart zustehende Pfarreinkommen beschlagnahmt und liehen das Geld auf eigenen Zinsgewinn aus. Stuttgart reagierte jedoch zunächst nicht.

Reinhard von Kaltenthal
Doch als schließlich 1565 die beiden Brüder Heinrich und Reinhart von Kaltenthal, um weiteren Ärger mit dem Herzog zu vermeiden, in Stuttgart vertraulich mitteilen ließen, sie « wären mit einer Reformation in Aldingen wohl zufrieden, wenn nur ihr Vetter Philipp anders gesinnt wäre », kam die Wendung. Bei Philipps Beharren auf dem alten Glauben spielte wahrscheinlich der Einfluß seiner Vatersschwester Emerentia eine Rolle, die sich als letzte Priorin des zwangsweise aufgehobenen Klosters Mariental bei Steinheim standhaft der Reformation widersetzte. Es ist im übrigen fraglich, inwieweit echte religiöse Motive die Kaltenthal-Brüder zu diesem Schritt mit motiviert haben. Durchaus denkbar ist auch, dass sie vorrangig den auch politischen und finanziellen Konflikt mit dem Herzog, dem sie Erlöse aus dem Aldinger Kircheinkommen schuldeten und der als benachbarte Realmacht am längeren Hebel saß, entschärfen wollten. Am 28. Dezember 1565 wurde den drei Herren von Kaltenthal kategorisch mitgeteilt: Aldingen sei herzogliches Lehen, außerdem habe der Herzog als Oberherr des Stifts das Recht, den Pfarrer in Aldingen zu ernennen; er sei es daher «vor Gott schuldig, die Kirche zu Aldingen mit der echten, wahren Religion Augsburgischen Bekenntnisses zu bestellen.» Der Herzog sei entschlossen, auch in Aldingen die württembergische Kirchenordnung einzuführen und « einen gelehrten, tauglichen Pfarrer dorthin zu schicken. »

Heinrich von Kalthental
Von den Kaltenthalern kam hinhaltende Antwort, sie müßten sich darüber noch mit dem Vetter einigen. Und man nahm sich Zeit. Darauf kam am 14. Januar 1561 ein Ultimatum des Herzogs: mit der Einführung der Reformation auch in Aldingen könne nicht mehr länger gewartet werden, er schicke ihnen daher den Pfarrer Nikolaus Kürner von Dachtel (bei Aidlingen). Schon am 26. Januar berichtete Kürner nach Stuttgart: der starrköpfige Philipp Wolf von Kaltenthal habe erklärt, er könne und wolle sich mit dieser Sache nicht weiter befassen und er wolle sterben in dem Glauben, in dem seine Eltern gestorben seien. Die Brüder Reinhart und Heinrich hätten dagegen zwar guten Willen gezeigt, dennoch hätten sie ihn nicht einmal auf die Kanzel lassen wollen, weil sich der katholische Meßpriester das nicht gefallen lassen würde. Da in Aldingen nur eine Kirche vorhanden sei, solle doch in Stuttgart befohlen werden, wer zu weichen habe. Als die Herren von Kaltenthal darauf hin zur schriftlichen Festlegung eines Vertrags über die Angelegenheit nach Stuttgart vorgeladen wurden, erschienen sie nicht.
Nach weiterem Warten kam von Stuttgart ein scharfer Befehl an die Herren von Kaltenthal, sie hätten das seit 1554 beschlagnahmte Einkommen der Pfarrei an das Stift zurückzahlen. Aber auch dies wurde vorläufig nicht beachtet. Da riß dem Herzog die Geduld, und am 23. Dezember 1567, also zwei Jahre nach seinem ersten Brief, befahl er dem Pfarrer Wolfgang Regius aus Zell am Neckar, er solle sich nach Aldingen begeben und dort predigen. Gleichzeitig erhielten die Kaltenthaler die Auflage, dem Pfarrer Regius keine Hindernisse in den Weg zu legen.
Am 29. Januar 1568 konnte dem Herzog berichtet werden: am Samstag, den 24. Januar, seien Kirchenratsdirektor Enzlin und Pfarrer Regius nachmittags angekommen und von den Kaltenthalern aus dem Wirtshaus ins (damals noch Alte) Schloss neben der Kirche (heute Schlösslesstraße) gebeten worden. Dort sei festgesetzt worden, am andern Morgen könne der Meßpriester um 8 Uhr die Messe in der Kirche lesen. Nach der Messe sei der katholische Philipp allerdings demonstrativ weggeritten. Dann habe der Schultheiß den Einwohnern bekanntgegeben, dass sich die drei Aldinger Herren «wegen der Religion verglichen hätten". Wer Lust und Liebe habe, möge um 11 Uhr nach dem Glockenläuten zur Predigt des neuen evangelischen Pfarrers in die Margaretenkirche kommen.
Dieser wurde von den Brüdern Heinrich und Reinhart von Kaltenthal tatsächlich um 11 Uhr feierlich zur Kirche geleitet, in der sich etwa 300 Aldinger versammelt hatten, darunter auch der katholische Meßpriester. Pfarrer Regius habe über die Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum « fein ordentlich und verständlich mit aller Bescheidenheit » gepredigt, wobei das Volk fleißig aufgemerkt habe. Während der Predigt sei das brennende ewige Licht im Chor von selbst erloschen, «welches man für ein gut Vorzeichen halten möchte ». Nach der Predigt hätten sich etliche vernehmen lassen, « daß sie Gott dem Herren dankten, daß es zur Einigung gekommen wäre ».
Von da an waltete Pfarrer Regius seines Amtes als erster evangelischer Pfarrer in Aldingen. Regius führt die Liste der bis heute amtierenden evangelischen Pfarrer der Margaretenkirche an, die in der Sakristei zu besichtigen ist. Er wurde 1561 ein Opfer der Pest, die schon vorher seinen Gegner, den Meßpriester, dahingerafft hatte: Kontroversen im Leben, gemeinsames Schicksal im Tode !
Diese Kompromißregelung bedeutete für die Einwohner von Aldingen, daß auf sie kein konfessioneller Entscheidungszwang ausgeübt wurde, so wie das andernorts in jener Zeit üblich war. Noch in der Dorfordnung von 1578 heißt es ausdrücklich, daß die Aldinger in ihrer Konfessions- und Glaubensentscheidung « unverhindert » seien. Nach wie vor wurden beide Konfessionen – erstaunlicherweise auch den Dreißigjährigen Krieg über - in der einen Dorfkirche gefeiert, wobei freilich die katholische Messe nur « aus herzoglichen Gnaden » erlaubt war. 1650 war dann die Zahl der Katholiken in Aldingen auf « drei alte Weiber und zween Medlin » gesunken. Von da an blieb Aldingen fast drei Jahrhunderte bis nach 1945 eine rein evangelische Gemeinde.
Reinhart starb 1580, kurz vor Vollendung des sog. Neuen Schlosses, das sein Bruder Heinrich vollendete und das heute noch steht. Philipp Wolf, der standhafte Katholik, starb 1584 und Heinrich 1608.
Dr. Ulf Scharlau (unter Auswertung verschiedener Quellen und eines Artikels in der Ludwigsburger Kreiszeitung aus dem Jahre 1950)