Achterbahnfahrt

Bild: www.unsplash.com Steven Hateley

Würdest du für 100 Euro einen Regenwurm essen?

Du bemerkst, dass der Hosenladen deines Lehrers offen ist. Sagst du etwas?

Du weißt, wie man das Handy deiner Partnerin entsperrt. Guckst du heimlich rein?

Mit meinen Konfis spiele ich gerade oft ein Spiel. Dabei geht es salopp gesagt darum, die Hosen runterzulassen. Das Spiel heißt ungefiltert und ist ganz simpel: Man muss nur Fragen beantworten. Aber die möglichst ehrlich. Die anderen müssen vorher einschätzen, wie die Befragten sich wohl entscheiden. Uns macht das riesig Spaß, weil es oft lustige Fragen sind, wie die mit dem Regenwurm. Manchmal geht es aber auch ans Eingemachte. Wir haben besprochen, dass alles unter uns bleibt. Das gibt uns Sicherheit und schweißt zusammen, weil wir ehrlich zueinander sein können.

Eine komische Frage ist allerdings dabei: Fährst du gern schnelle Achterbahnen? Schräg, oder? Haben Sie schon mal eine langsame Achterbahn gesehen? Wenn ich die Karte erwische, muss ich gar nicht überlegen. Neulich hatten wir es doch von Träumen und Alpträumen. Achterbahnen sind mein persönlicher Alptraum. Ich habe noch nie einen Fuß in eine gesetzt und das wird sich auch nicht ändern. Mein Mann und ich haben das vor der Hochzeit geklärt: Für die Begleitung der Kinder in solchen Kotzmühlen ist er später zuständig. Ich stehe derweil unten, winke stolz und tue, was ich am besten kann: Absolut zuverlässig bewache ich Taschen und Brillen.

Mir sind Achterbahnen ein Gräuel, weil ich dabei die Kontrolle verliere. Oben und unten gibt es nicht mehr und man wird in seinem Wägele herumgeschleudert. Mal geht es elendslangsam bergauf und auf einer ruhigen Strecke setzt doch keine Erholung ein. Weil man nämlich genau sieht, dass sie gleich zu Ende ist und danach der Abgrund oder – noch mieser – ein Looping droht. Dann schießt man hinab, ist allem ausgeliefert und kann nur hoffen, dass es gut geht.

Der Blick in die Nachrichten fühlt sich derzeit so an, wie ich mir eine Fahrt mit der Achterbahn vorstelle. Seit einem Jahr steigen die Zahlen in Wellen bedrohlich an und werden dann mühsam wieder nach unten gedrückt. Wenn ich gerade denke, dass jetzt Ruhe einkehrt, merke ich plötzlich, dass das Wägele doch schon wieder nach oben schnurrt. Bremsen ist schwer, eigentlich unmöglich und dann schütteln mich neue Verordnungen so lange durch, bis die Zahlen wieder sinken. Ich weiß am Ende gar nicht mehr, wo oben und unten ist, und bin nur froh, dass ich endlich langsam fahre. Schon geht es wieder nach oben. Das Coronajahr, das hinter mir liegt, ist wie eine Achterbahn, in die ich nie einsteigen wollte.

Gerade in solchen Zeiten brauche ich etwas, das mir wieder Sicherheit gibt. Mit tun dann Verse aus der Bibel gut, die ich auswendig kenne. Der hier zum Beispiel:

So hoch der Himmel über der Erde ist, so weit reichen meine Gedanken hinaus über alles, was ihr euch ausdenkt, und so weit übertreffen meine Möglichkeiten alles, was ihr für möglich haltet. Jesaja 55,9

Eigentlich sagt dieser Vers nichts, das mir konkret hilft. „Der stärkste Gott der Welt wird dich retten!“, so was wäre gut. Jesaja klingt aber eher so, als würde er selbst in einer Achterbahn stecken: Himmel oben, Erde unten, Probleme dazwischen und ein Mensch, der die Welt nicht mehr versteht. Hinter diesem Vers steckt die Erfahrung: Ich weiß gerade überhaupt nicht, wozu das alles gut sein soll. Vor diesem Vers haben Menschen erlebt, was es heißt, die Kontrolle zu verlieren und dem Leben schutzlos ausgeliefert zu sein. Alle Sicherheiten sind dahin. Dieses Gefühl kennt nach einem Jahr mit Corona jeder von uns. Ganz sicher.

An diesem Vers macht mir jetzt Mut, dass es anders läuft als in unserer Konfigruppe. Die Fragen und die Antworten, die bleiben nicht unter uns. Jesaja spricht sie stellvertretend für alle aus: „Gott, was soll das eigentlich? Was denkst du dir denn gerade dabei? Wir verstehen es nicht.“ Wenn ich diesen Vers lese, dann weiß ich: Es gibt viele Fragen auf der Welt, die ich nie beantworten kann. Und damit bin ich nicht allein. Warum Corona sein musste? Wann alles vorbei ist? Und wie? Welchen Sinn diese Zeit hat? Ob sie überhaupt einen hat! Das weiß ich nicht. Und Sie auch nicht. Aber wahrscheinlich stellen Sie sich genau dieselben Fragen. Das verbindet uns und das schweißt zusammen.

Mir hilft das, dann auch das Ende des Verses auszuhalten. Gott gibt den Menschen keine Antwort. Er sagt nur: „Ich sehe hinter die Kulissen und ich habe noch Möglichkeiten, die ihr nicht kennt. Ich habe mir Gedanken gemacht. Gedanken, die ihr euch gar nicht vorstellen könnt.“ Normalerweise würde mich so eine Antwort nerven. Weil sie gar nichts sagt, sondern mich blind beruhigen soll. Aber weil ich das Gefühl habe, dass Gott meine Fragen so ernst nimmt, kann ich auch glauben, dass er mir helfen wird, gute Antworten darauf zu finden. Ich habe schon erlebt, dass Gott mir aus einer scheinbar ausweglosen Situation geholfen hat. In der Bibel finden sich auch lauter solche Geschichten und ich bin mir sicher, auch hier in dieser Gruppe gibt es einige, die von solchen Erfahrungen berichten können. Auch das macht mir Mut. Zu wissen: Uns verbinden nicht nur die Fragen, sondern vor allem die Momente, in denen wir Gott als einen Ausweg aus der Not erlebt haben.

Deshalb glaube ich: Selbst wenn ich in diese Achterbahn nie einsteigen wollte – Gott wird die Fahrt eines Tages zu Ende gehen lassen.

In diesem Sinne – gute Fahrt, sie geht vorbei!

Ihre Pfarrerin Isabella Bigl